Auf die Sinne besinnen

Die white cliffs of Dover im Trüben

Die white cliffs of Dover im Trüben

Nach zwei Tagen in Brüssel wollen wir es heute auf die Insel schaffen. Offensichtlich sind wir nicht die Einzigen mit diesem Ziel. Unterwegs begegnen uns viele bisweilen ausgefallene Young- und Oldtimer, deren Besatzungen auffallend häufig in Karomuster gewandet sind. „Knights of the island“, eine Old-School-Rallye, die heute in Brüssel startete und durch England, Wales und den Norden Karolands nach Edinburgh führt. Fritz Kraut darf leider nicht teilnehmen. Er ist fast zwanzig Jahre zu jung. Der Fritz-Kraut-Co-Pilot aber dürfte, denn erstens ist er alt genug und zweitens ist auf der Internetseite der „Knights of the island“ zu lesen: „GPS und Navi bleiben zuhause, lass dich von Deinen Sinnen und guten alten Hilfsmitteln wie Karte und Kompass durch das Land der Ritter, Lords und Könige leiten.“

Gute Idee, wie sich später am Tag noch zeigen wird.

Unserem Navi haben wir derweil Dover als Ziel eingegeben. Das Gerät fragt nach, ob wir einverstanden sind, zwischendurch eine Fähre zu nutzen. Na, klar. Hatten wir eh vor. Und wo führt uns die moderne Technik direktemang hin? Genau. Zum Eurotunnel. Von wegen Fähre. Jetzt stehen wir in der Schlange vor der Kasse und wissen nicht, wie wir wieder rauskommen. Wir sind ja nicht das Ende der Schlange und links und rechts gibt es kein Entweichen. Als uns dann auch noch das Beförderungsentgelt genannt wird, hört der Spaß wirklich auf. Die gute Frau im Kassenhäuschen scheint das zu kennen und stellt uns ohne Murren ein Ticket mit einem Code aus, das es uns ermöglicht, das Gelände unbeschadet wieder zu verlassen.

Jetzt besinnen wir uns dann doch unserer Sinne und der guten alten Hilfsmittel wie Straßenschilder, fahren vorbei am unglaublich großen Flüchtlingsdorf mit seinen Zelten und Hütten, streng bewacht von Polizeieinheiten und finden recht schnell die richtige Fähre.

Kohle abgedrückt. In die nächste Schlange eingereiht. Passkontrolle. Aus die Maus. „Ihr Personaldokument wurde als gestohlen gemeldet. Fahren Sie doch mal da vorne links ran. Es kommt dann ein Kollege und kümmert sich um Sie.“ Erstmal wird unser Auto durchsucht und kurze Zeit später werde ich in einen Wartesaal geführt. Entgegen dem Versprechen kümmert sich aber kein Mensch um mich. Stattdessen bekomme ich wiederholt nichtssagende Antworten. Nach mehr als einer Stunde – die Fähre legt in wenigen Minuten ab – erhalte ich ein weder unterschriebenes noch gestempeltes Schreiben einer englischen Behörde in deutscher Sprache und eine Kopie meines Ausweises. Das Original wird auf Ersuchen der Berliner Behörde einbehalten. Super. Damit soll ich also jetzt weiterreisen. Bin gespannt, was mich da noch alles erwartet. Ob ich die Insel jemals wieder verlassen können werde?

Im letzten Sommer wurde mir der Ausweis tatsächlich geklaut; ich hatte ihn aber wenige Tage später zurückerhalten, was ich noch am selben Tag im Bürgeramt kundtat. „Jut. Dann könn‘ Se den wieda nehm. Müss’n Se keen’n Neu’n koofen. Ick happ ditte im System vamerkt. Is jetze allet wieda jut.“ versichert mir der Gruppenleiter. Nur bei den englischen Behörden ist offensichtlich „nich allet wieda jut.“ So kann’s gehen, wenn Behördeneifer auf veraltete Berliner EDV trifft.

Anderthalb Stunden später können wir uns dann im Dunst des Ärmelkanals der Ansicht der white cliffs of Dover erfreuen. Wir wollen nach Broadstairs, wo ich dermaleinst meine Brötchen als Reiseleiter verdiente. Im Nachbarort Ramsgate gibt es einen Campingplatz, auf dem wir äußerst freundlich und hilfsbereit empfangen werden. Selbst das englische Wetter gibt sein Bestes und schickt schnell mal einen ordentlichen Regenschauer vorbei. „English weather!“ entschuldigt sich der Campingcar-Nachbar. Allet jut.

Dieser Beitrag wurde unter Belgien, Wohnmobil-Reisen abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

12 Antworten zu Auf die Sinne besinnen

  1. uhausg sagt:

    o menno! dartmoor! ihr seid da!!! will auch!!! und? verzellt ihr euch gegenseitig die gruselgeschichten:
    „Imaging the year is 1925 and it is a dark winters night, the sky is clear and the air is cold, a frost is starting to bite at the whitening verge side. You and your partner are driving along the B3212 between Postbridge and Two bridges after visiting friends in Moretonhampstead. This old turnpike road was once known as the ‘Carters Road’ because a man called Carter built it. The car is freezing and to keep out the moorland chill you both have heavy coats and thick gloves. On the left the moon is peering up over Arch tor and the combination of it’s yellowish beams and the dim car headlights a pair …………….. “

    diese hatte mir damals am besten gefallen.
    weißt noch, louis, wie die kids im bus dann auf einmal immer ganz still wurden.

    weiter gute reise and MIND THE HAIRY HANDS

  2. Bernd Frank sagt:

    Hej, mal ’ne ganz einfache Frage:
    Habt Ihr eigentlich in eurem Wohnmobil einen Fernseher drin? Oder habt ihr das Glück, auf den ganzen Käse in der Flimmerkiste mal für längere Zeit verzichten zu dürfen? (Und falls ihr doch einen habt: Wie ist es denn mit dem Empfang? Bzw. guckt ihr jetzt englischen Käse?)
    fragt der liebe Bernie

    • FritzKraut sagt:

      Hej, Bernie!
      Wir gucken nur nach Käse, nach englischem, irischem, französischem, italienischem, holländischem, deutschem Käse. Der Empfang bzw. das In-Empfang-nehmen ist in der Regel unkompliziert und gut. Nach dem Bezahlen nehmen wir ihn mit und packen ihn, weil wir keine Flimmerkiste haben, in unsere Kühlbox. Meistens hält er sich aber auch dort nicht lange.
      Breaking news zum Schluss: Es hat seit Stunden nicht geregnet. Komisch. We are amused.
      Werner und Louis

  3. Rosi Heidecker sagt:

    Lieber Louis, lieber Werner,
    Ihr erlebt ja wirklich spannende Geschichten, kaum zu glauben.
    Solltet ihr unerwartet in Schottland und auf der Insel bleiben müssen, nehmt es nicht so schwer. Wir könnten uns im September in Edinburgh treffen.
    Weiterhin gute erlebnisreiche Tage, es muss ja auch Spannendes für uns Leser geben. Pauschalreisen kann ja jeder.
    Grüße
    Rosi

  4. Rolf Yadig sagt:

    Heute juckt es mich, von unserem Ausflug zu erzählen, kann ja nicht sein, dass nur ihr immer von euren Abenteuern erzählt. Unser „Ausflug“ dauert eine Woche, auch hier sind Oldtimer auf den Straßen unterwegs, die Fahrer sind nicht kariert, sprechen aber auch ein merkwürdiges Idiom. Vielleicht tragen sie Lederhosen, kann ich nicht erkennen, wir sind in der Nähe einer Oldtimer-Rallye im Oberbayerischen, im Land von Jörg Maurer und von Hubert und Staller.
    Und wie bei Hubsi und Staller ist auch das Wetter, strahlend blauer Himmel, grüne Wiesen, die blauen Berge am Horizont.
    Wolfratshausen war uns doch etwas zu weit, so sind wir zum Spitzingsee, wo Polizeiobermeister Kreuthner im Januar eine Leiche unter dem Eis des einsamen Sees findet. Also im Roman von Jörg Maurer.
    Die Idee, an einem hoch- und abgelegenen See an einem so heißen Tag in der luftigen Höhe von 1100 Metern spazierenzugehen, fanden wir eine saugute Idee.
    Wir waren aber nicht die einzigen mit dieser Idee, am See mehrere große Parkplätze, alle gut frequentiert, ein Parkwächter (darf man den so nennen, oder nur, wenn er einen Park bewacht?) lotste uns für 4 Euro zum Stellplatz, und wir
    reihten uns ein in die Schlange derer, die den Spitzingsee umrunden, 2,8 km bei
    Hitze wie im Tal des Todes, schiefer Vergleich.
    Ich hatte vergessen, dass der See im Mai keine Eisdecke mehr hat und Leichen da sofort auffielen, spätestens wenn ein Tretboot darübertritt.
    Eis gab es nur später in Wasserburgs angesagtester Eisdiele, auch da waren wir nicht ganz allein.
    Trotzdem, ein Bilderbuchtag, und Genna sagt, ich soll nicht vergessen euch zu grüßen, insbesondere, wenn wir einen von euch nicht mehr wiedersehen, weil er dort bleiben muss. Und wer ist der Neu-Brite von euch beiden, Louis??

    • FritzKraut sagt:

      Juckreiz mit schreiben begegnen, auf die Idee kann ja nur ein Apotheker kommen! Gute Idee, so haben wir auch was davon. Und lachen soll sich ja positiv auf des Menschen Befinden auswirken. Tja, tut uns natürlich Leid für Euch mit dem Bilderbuch-, sprich: Vorabendserienwetter. Da ist’s hier schon abwechselungsreicher. Checkliste vor jeder kleinen Wanderung: Reicht der Schirm oder muss es doch die wasserdichte, windabweisende, atmungsaktive Jacke mit Reißverschluß unter den Achseln sein? Regenhose? Gummistiefel? Sonnencrême und Sonnenbrille? T-Shirt oder Pullover? Das sind Fragen, die den hiesigen Reisenden beschäftigen.
      Der Neu-Brite bin natürlich ich, Louis. Als Inhaber eines maschinenlesbaren Personalausweises der neuesten Generation trifft es selbstredend mich. Vielleicht sollten die bei den berliner und britischen Behörden, bei Interpol und wo sonst noch mal langsam ihre Hard- und Software upgraden, damit sie mit dem Zeugs, das sie ausstellen, auch selbst klarkommen. Aber so lerne ich mal wieder ein neues Konsulat kennen, AldiTalk verdient gut an mir und ich unterstütze finanziell berliner und schottische Behörden und Fotografen, die Telekom, die Bundesdruckerei, eine Tankstelle und muss mir keine eigenen Gedanken zur Gestaltung einiger Stunden meiner Lebenszeit machen.

  5. Bernd Frank sagt:

    „… im System vamerkt“!
    „In wat für’n System?“ sach ick. Det System, wo die da meinen, is dat „System Berlin“ – da kommt am Ende nüscht bei raus, det is wie en schwarzet Loch. Nur größer. Det kanns de dir in de Haare schmier’n, un froh sein, wenn de keen Haarausfall kriegs.
    Auf deutsch: Die kriegen – jetzt mal ganz im Ernst – noch nicht mal einen zuverlässigen Datenabgleich zwischen (unserem Nachbarland) Belgien und Deutschland hin (Stichwort Terrorgefahr). Mit England ist es dann tendenziell wohl noch schwieriger. Sorry. Ich denke mal, dass du vermutlich nun auf irgendeiner Fahndungsliste stehst, und nach aller Erfahrung kommst du da vor dem Jahr 2026 auch nicht wieder runter. Shit happens!
    🙂 Nee nee, Louis, war nur Spaß. Allet jut !! Hoffentlich.

    • FritzKraut sagt:

      Hallo Bernie, es gibt noch eine Chance: Die Briten treten aus und wir werden von der Insel geworfen. Aber ehrlich, ein kleiner Fehler in einem EDV-System und du bist am Arsch. Es folgen ellenlange Mails, Telefonate und Besuche, in der Hoffnung es klappt mit den Papieren. Zum Glück sind wir ehrenwerte Bürger und deshalb auf keiner Terrorliste. Allerdings, wenn sich da irgendwo noch ein kleiner Fehler eingeschlichen hat…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert